Geschichte
Seit ihren Anfängen im 19. Jahrhundert begegnet die kirchliche Publizistik den gesellschaftliche Entwicklungen mit unterschiedlichen Strategien – von der Behauptung christlich-kirchlicher Traditionen bis zur Bewährung auf dem Meinungsmarkt der multimedial vernetzten MediengesellschaftBeB. Letztlich haben aber die Kirchenzeitungen laut der evangelischen Theologin und Journalistin Johanna Haberer stets ihre Augen dort, wo die Kirche am vitalsten ist.
Die Zeiten ändern sich – Die kirchliche Publizistik im Spagat zwischen Tradition und Moderne
von Johanna Haberer
Die Geburtsstunde – Verteidiger des Glaubens
Die kirchliche Presse ist in ihren Anfängen im 19. Jahrhundert von ihrem Impetus her als apologetisches Projekt entstanden. Es galt den Einwürfen und Infragestellungen der modernen Philosophie und Naturwissenschaft zu begegnen. Einerseits hatte der Materialismus des Karl Marx jegliche Religion als Illusion, ja schlimmer noch als kollektiv wahrnehmungsverzerrendes Rauschmittel, als „Opium fürs Volk“, bezeichnet.
Andererseits hatte das Christentum zwei seiner großen Kränkungen innerhalb weniger Jahrzehnte zu verkraften: Darwins Evolutionslehre, die den Menschen in eine organische Reihe mit den Tieren stellte und in eine organische Reihe der Entwicklung der Arten und insofern die Einmaligkeit des Humanum, die Gottesebenbildlichkeit und – wie manche meinten die Gotteskindschaft – in Frage stellte.
Auf der anderen Seite folgte der Angriff auf die göttliche Seele des Menschen durch die Psychoanalyse des Sigmund Freud, die menschlichen Bedürfnisse, die Tragödie, die Liebe und die Leidenschaften der Menschen ganz einfach „Triebe“ zu nennen wagte.
Die Kirchliche Presse ist also verwurzelt in der konservativen Apologetik, sie ist entstanden im Gestus der Verteidigung. Sie ist von ihrem Herkommen her eine Publizistik der Anliegen, der Botschaft und der Defensive. Der Motor ihres Bestands war die Verteidigung konservativ christlicher Grundwerte und Grundbegriffe.
Nach dem 2. Weltkrieg: Die Kirchenzeitungen auf dem medialen Meinungsmarkt
Dies veränderte sich etwas nach dem zweiten Weltkrieg. Die Haltegriffe kirchlicher Präsenz waren im moralischen Vakuum des postnationalistischen Deutschland willkommen. Die meisten Kirchenzeitungen, die während des Nationalsozialismus verboten waren, erhielten rasch wieder eine Lizenz und konnten auflagenstark an den Start in die demokratische zweite Hälfte des Jahrtausends gehen.
Doch bereits Mitte der 60ziger Jahre ahnte Robert Geisendörfer, was geschehen würde:
Die Differenzierung der Gesellschaft in unterschiedliche Segmente, in Milieus. Er hatte recht. Lange nach ihm hat der Soziologe Schulze diese gefühlte Entwicklung soziologisch beschrieben, wobei das kirchliche Milieu, das zum so genannten Harmoniemilieu gehört, und sich wohl nicht als erneuerungsfähig erweisen wird.
Heute allerdings befindet sich die Kirche auf einem äußerst differenzierten Meinungsmarkt (Schibilsky) Kirche macht Meinung. Institutionalisierte Kirche, gesellschaftliche Macht und
öffentliche Meinung sind die drei Faktoren, die in der evangelischen Publizistik professionell und kompetent zur Geltung gebracht werden. Kirche in der Öffentlichkeit – das beschreibt eine gesellschaftliche Großinstitution, die im konkurrierenden und sich höchst dynamisch entwickelnden Meinungsmarkt tätig ist. Dieser Meinungsmarkt ist medial vermittelt.
Mediale Präsenz von Kirche gehört seit Anbeginn ihres Bestehens zu ihren Grundaufgaben. Kirche hat es nicht mit einem Produkt, sondern mit der Pflege, Entwicklung, Aktualisierung und Erneuerung grundlegender gesellschaftlicher Werte und Normen zu tun. Sie leistet ihren Beitrag zur Gegenwart auch durch eine bewusste Erinnerungskultur. Ihr Gegenstandsbereich ist die Transzendenz, die Rede von Gott, der Mensch geworden ist und mit den Menschen einen Bund geschlossen hat, der Gott, der den Menschen Freiheit und Würde zugesprochen hat und sie im Heute verbürgt.
Was Kirche öffentlich zu sagen hat, steht in einem einzigen Buch, im Buch der Bücher, das über mehrere hundert Generationen, über höchst divergente Kulturen und politische Systeme religiöses Lebenswissen der Menschheit erinnert hat, vergegenwärtigt und zukunftsfähig gemacht hat. In diesem Prozess hat es Epochen großer Aufmerksamkeit und
Gestaltungsmöglichkeiten, aber immer auch Phasen von Niedergängen gegeben. Die Reflexion dieser Epochenentwicklungen verschafft der jeweiligen Profession das notwendige Wissen für künftige programmatische und konzeptionelle Gestaltung.
Wer evangelische Publizistik nur unter dem pragmatischen Aspekt von Informations- und Wissensvermittlung betrachtet, greift zu kurz. Es geht um die Aktualisierung und Konkretisierung einer Jahrhundertaufgabe, die in jeder Generation neu zu leisten ist. Die dynamische Entwicklung des digitalisierten und weltumspannenden Kommunikations- und Mediennetzes bildet das Rahmenkonzept, in dem sich evangelische Publizistik in der Mediengesellschaft zu bewähren hat.
Zwischen „Kanzel der Kirche“ und freiem Journalismus
Die Publizistischen Aufgaben der evangelischen Printpublizistik wurden vor allem in 60ziger Jahren in der theologischen Debatte kontrovers verhandelt: Ist die evangelische Printpublizistik eine weitere „Kanzel der Kirche“ oder steht sie für einen freien Journalismus, der sich besonders den in der Öffentlichkeit vernachlässigten Themen in einer Art Stellvertreterposition annimmt. Evangelische Publizistik als Stellvertreterin oder als Kanzel?
Mit der Gründung des Gemeinschaftswerks als Kirchlicher Gesamtverband bei garantierter publizistischer Unabhängigkeit wurde diese Frage 1973 zugunsten des Stellvertretermodells beantwortet. Vor allem die Themen der Entwicklungspolitik und der dritten Welt, die der politischen Diakonie wurden als zentrale Themen der evangelischen Publizistik herausgearbeitet, Die regionale Kirchenpresse hat jedoch immer ein Mischmodell zwischen Erbauung und Information, zwischen politischem Engagement und Glauben als publizistischen Kurs gefahren: Oder eben zwischen Gottes Geist und Zeitgeist gibt es eine Fülle publizistischer Aufgaben der Kirchenpresse:
Viele regionale Sonntagsblätter sind in ihrer Verbreitung mit dem Gebiet mit dem Gebiet einer Landeskirche identisch oder sie haben sich auf regionale und überregionale Berichtsräume verständigt. Damit sind die Sonntagsblätter unverzichtbare journalistisch-kritische Berichterstatter über Ereignisse und Denkprozesse innerhalb der Kirche, sowie überregionaler kirchlicher Verbände, sowie Chronisten des Diskurses zwischen Kirche und Gesellschaft. In dieser Funktion verhandeln und kommentieren sie unabhängig von institutioneller Einrede, theologisch ihrem Gewissen verpflichtet, ethisch relevante gesellschaftliche Themen: z.B. der gläserne Mensch, die gesellschaftliche Integration von anderen Kulturen und Religionen, die Armuts- und die Schuldenfalle, die Arbeitslosigkeit…..
Sonntagsblätter mit Tiefenwirkung oder kritische Kommentare aus der Distanz
Sie kommentieren kirchliche Ereignisse, synodale Entscheidungen und theologische Entwicklungen aus der Distanz, in der Sache und im Interesse christlich loyal, aber institutionell distanziert. Sie bieten Erbauung und Lesenshilfe, Wochenauslegungen und Beratung. Sie informieren über Gottesdienstzeiten und sie bieten den in Kirche und Diakonie Mitarbeitenden und Engagierten eines offenes Forum über die Entwicklung der Kirche in der Gesellschaft. Leserbriefe sind eine ganz wichtige Einrichtung für eine evangelischen Wochenzeitung. Kirchenzeitungen sind bis jetzt das unersetzte und wohl in dieser Form unersetzliche Forum einer Landeskirche mit einer bisher von keinem anderen kirchlichen Medium erreichten publizistischen Tiefenwirkung.
Die regionalen Kirchenzeitungen sind besonders in den publizistischen Spagathaltungen, die sie Woche für Woche vollziehen, unersetzbar: Sie verbinden kritische journalistische Berichterstattung über die Institution auf Kirchenkreis- und landeskirchlicher Ebene mit Erbauung, theologischer Reflexion und unterhaltsamen Elementen. In dieser Spannung sind sie publizistisch nicht einholbar.
Die regionale Tiefenwirkung der „Kirchengebietsblätter“ ist ihr gewichtigster publizistischer Beitrag, denn diese Blätter haben die Kirche dort im Auge, wo sie am vitalsten ist: an der Gemeindebasis. Und sie vermitteln die Anliegen der Gemeindebasis in eine kirchliche Öffentlichkeit hinein.
Johanna Haberer ist Professorin für Christliche Publizistik an der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen.